Weltweites Unikat aus dem 16. Jahrhundert


Peter Riedemann: Rechenschafft unserer Religion, Leer und Glaubens, ohne Ort und Jahr. (ZBZ, Abteilung Alte Drucke, RP 140).

Niemand würde denken, dass das kleine Büchlein im Sedezformat, das wir heute vorstellen, eine rege Geschichte hinter sich hat. Es stammt aus dem 16. Jahrhundert, als die Täuferbewegung als Abspaltung von Zwinglis Reformation im Kanton Zürich stark verfolgt wurde. Vermutlich gelangte es mit hutterischen Missionaren aus Osteuropa hierher.

Die täuferische Gruppierung der Hutterer stammte aus dem Tirol und genoss in Mähren bis 1622 weitgehende Glaubensfreiheit. Von 1574 bis 1617 kamen immer wieder hutterische Missionare in die Eidgenossenschaft und ermutigten ihre Glaubensgenossen, auf einen ihrer Brüderhöfe auszuwandern, wo sie keinen Repressionen mehr ausgesetzt waren. Im Zeitraum zwischen 1593 bis 1622 gab es in Mähren rund 20'000 Hutterer auf 74 hutterischen Brüderhöfen, wo zahlreiche Familien in Gütergemeinschaft zusammenlebten. Richtschnur ihres Glaubens war das vorliegende Büchlein ihres Lehrers Peter Riedemann mit dem Titel Rechenschafft unserer Religion, Leer und Glaubens

Nicht alle Zürcher Täufer waren über die Missionare aus Mähren und ihre Literatur erfreut. Viele lehnten verschiedene Aspekte der hutterischen Theologie ab. So bemerkte etwa der Täuferlehrer Hans Müller von Dürnten anlässlich eines Verhörs trocken, dass er mit diesen Büchern nichts zu tun habe. Die Zürcher Obrigkeit war sich der lehrmässigen Unterschiede zwischen den Hutterern und den hiesigen Täufern hingegen nicht bewusst. Das geht aus der 600 Seiten starken, antitäuferischen Abhandlung Der arme Zoller des Wädenswiler Pfarrers Jakob Vollenweider hervor, worin er verschiedene Täufergruppen in den gleichen Topf warf, und auch aus der theologischen Auseinandersetzung mit dem Täufertum, welche die Kirchen- und Schuldiener am 10. Mai 1612 verfassten (heute im Staatsarchiv Zürich). Die Pfarrer zitierten darin wörtlich aus dem vorliegenden Druck, als wäre er ein repräsentatives Werk der Zürcher Täufertheologie.

Die Ausgabe in der Zentralbibliothek Zürich ist ein weltweites Unikat.


- Urs Leu
Alte Drucke und Rara

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