Zürcher Wirtschaft – Streiflichter
Zürich wird im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Motor der Schweizer Wirtschaft. Die Zürcher Industrie, der Eisenbahnbau und der Bankenplatz Zürich sichern den Anschluss an die Moderne. Kommen Sie mit auf einen Streifzug durch Zürichs Wirtschaftsgeschichte von der Industrialisierung bis zum Swissair-Grounding.
Vom Ackerpflug zum Fabrikkamin
Die Industrialisierung, ein sozialer und ökonomischer Wandel, verändert auch den Kanton Zürich stark. Bauernfamilien weben und spinnen von Hand und in Heimarbeit für die Textilindustrie, vor allem im Zürcher Oberland. Bald arbeiten sie in Fabriken. Die ersten mechanischen Webstühle kommen in den 1830er Jahren aus England in die Schweiz.
Die Unternehmer bauen ihre Fabriken dort, wo Wasserkraft für Wasserräder, später für Turbinen, vorhanden ist. Diese ausserordentliche Entwicklung prägt die Landschaft sowie die Dörfer und Städte. Heute sind vor allem die Hochbauten von damals sichtbar: Fabriken, Fabrikantenvillen und Wasserbauten. Wer auf dem Industriepfad des Zürcher Oberlandes wandert, sieht zahlreiche Zeugen der wirtschaftlichen Pionierzeit.
Eisenbahnschienen erreichen die Schweiz
«Der Dampf schafft eine neue Welt, und alle Völker eilen, um sich rechtzeitig in die neue Theilung der Erde zu finden und sich einzurichten», schreibt die «NZZ» 1852.
Dampfgetriebene Maschinen und Dampfloks spielen in der zweiten Phase der Industrialisierung eine grosse Rolle. Die Schweiz beginnt allerdings spät mit dem Eisenbahnbau. 1844 erreichen in Basel erstmals Eisenbahnschienen Schweizer Boden. Die Weiterführung der Strecke ins Mittelland erweist sich als schwierig. In Deutschland, Frankreich und Österreich sind damals schon tausende von Bahnkilometern gebaut.
Belle Epoque und Kanonendonner
Alles wird grösser und glamouröser während der Belle Epoque. Das Bürgertum mit seinem auf Wissenschaft und Technologie basierenden Fortschrittsglauben ist während diesen zwei Jahrzehnten vor 1914 in einer starken Position, aber auch die Arbeiterschaft profitiert vom allgemeinen Wachstum.
Dann nimmt der Aufschwung ein abruptes Ende – der Erste Weltkrieg bricht aus. Trotzdem sind Gründungen und Entwicklungen aus diesen frühen Jahren des 20. Jahrhunderts noch heute prägend, so die Verstaatlichung der Eisenbahnen, schweizweite Betriebszählungen und die Schweizerische Nationalbank. Die Zwischenkriegszeit bringt einen kurzen wirtschaftlichen Aufschwung, am Ende der 20er Jahre schliesslich die Weltwirtschaftskrise.
Boom nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Nachkriegszeit ist geprägt durch eine nie dagewesene Hochkonjunktur, die bis in die 1970er Jahre anhält. Eine starke Bautätigkeit und die wachsende Mobilität verändern das Gesicht Zürichs und der Schweiz.
Das Land wendet sich von der Kriegswirtschaft ab und der sozialen Marktwirtschaft zu. Es folgen Boomjahre: Die Wasserkraftgewinnung wird ausgebaut, zusätzliche Strassen und die ersten Autobahnen entstehen und die Schweiz festigt mit der Einführung der AHV und der IV den Wohlfahrtsstaat. Das Wirtschaftswachstum steigert ab den 60er Jahren die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften für Bau und Tourismus. Mit der Ölkrise der 70er Jahre geht die Hochkonjunktur abrupt zu Ende.
Weiterführende Literatur
Das Fachreferat Wirtschaft empfiehlt:
- Joseph Jung: «Das Laboratorium des Fortschritts: Die Schweiz Im 19. Jahrhundert»
Jung geht der Frage nach, wie aus dem Kleinstaat Schweiz eine Wirtschaftsmacht wird. Wirtschaftsgeschichte, die Spass macht. - Patrick Halbeisen et al.: «Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert»
Ein umfangreiches wissenschaftliches Werk, das einzelne Sektoren und Branchen analysiert – basierend auf statistischen Schätzungen zum Konjunkturverlauf in der Schweiz. - Jean-François Bergier: «Wirtschaftsgeschichte der Schweiz: Von den Anfängen bis zur Gegenwart»
Eine Gesamtdarstellung der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte bis in die 80er Jahre von einem Altmeister des Fachs. Immer noch lesenswert.
Die Abteilung Turicensia empfiehlt Bücher, Artikel, Videos und mehr zum Thema aus der Zürcher Bibliographie. Weitere spannende Einblicke in die Textilindustrie bietet das Familien- und Firmenarchiv Schwarzenbach in der Handschriftenabteilung.
Daniel Stettler, Fachreferent/Liaison Librarian Wirtschaftswissenschaften
Juli 2020