Zürich baut ein Haus für die Kunst …
… und das schon ziemlich lange. Denn zwischen der jetzt fertiggestellten Erweiterung und dem Gründungsbau am Heimplatz liegen über hundert Jahre. Seither hat sich so manches verändert.
Ein neues Tor zur Kunst geht auf
Derzeit steht sie kurz vor ihrer Einweihung: Die Erweiterung des Zürcher Kunsthauses. Sie kommt genau richtig, denn wir leben in einer Zeit, in der Kunst an Bedeutung gewonnen hat.
Dem trägt David Chipperfields Bau Rechnung. Doch er entstand nicht über Nacht: Ihm ging ein 20jähriger Planungsprozess voraus. Die Vision «Neues Kunsthaus» wurde von Master- und Businessplänen begleitet. Gut so, denn bei einer derart grossen Investition, die ein Quartier im Herzen der Stadt langfristig verändert, will man wissen, worauf man sich einlässt. Das Zürcher Stimmvolk hat 2012 mit seinem «Ja» ermöglicht, dass die Vision Wirklichkeit geworden ist.
Tatort Heimplatz
Durch die nun vollendete Erweiterung rückt das Kunsthaus stärker denn je in einen Dialog mit führenden internationalen Museen. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Chipperfields Neubau in seinen Dimensionen mit dem ganzen historisch gewachsenen Museumskomplex auf der anderen Seite des Heimplatzes konkurriert.
Geht man von der Universität zum Kunsthaus, dann ist die Erweiterung wortwörtlich unübersehbar. Aber diesen Massstabswechsel braucht es, denn die heutige Wertschätzung von Kunst kommt nicht ohne einen passend grossen Rahmen aus. Der Abschluss des Bauprojekts ist eine gute Gelegenheit, hier einmal auf die Entwicklungsgeschichte des Kunsthauses zurückzublicken.
Eine lange Geschichte
Im Vergleich zu heute sind die Anfänge des Kunsthauses noch bescheiden. Sie reichen bis ins Jahr 1813 zurück, als die Zürcher Künstlergesellschaft ein Grundstück im Bereich der heutigen Universität erwirbt. Auf dem «Künstlergütli» entsteht 1847 ein erstes Ausstellungsgebäude. Bereichert wird das kulturelle Angebot in Zürich durch einen weiteren Ort: Das 1895 eröffnete Künstlerhaus an der Talstrasse gegenüber der Börse.
Hinter den beiden Bauten stehen zwei Vereine, die sich 1896 zur Zürcher Kunstgesellschaft – dem Träger des heutigen Kunsthauses – zusammenschliessen. Dass es jedoch zeitweise zwei Institutionen gibt, ist nicht untypisch, denn auch andernorts findet die junge Künstlergeneration in sogenannten Sezessionen zusammen, darunter zum Beispiel in Wien. Damals holt Zürich also bereits zu jüngsten Entwicklungen auf. Ein Zeichen, dass sich die Stadt wirtschaftlich und kulturell weiterentwickelt.
Zürich setzt ein Zeichen
Ausgerechnet der damit einhergehende städtebauliche Wandel Zürichs fördert das Aus für die beiden Vorgängerbauten. An ihre Stelle tritt Karl Mosers Kunsthaus am Heimplatz. Dafür stellt die Stadt das Grundstück bereit und übernimmt einen Teil der Baukosten. Man hat erkannt, dass ein solches Museum zur Stadt dazugehört. Die Einweihung findet 1910 statt.
Die Architektur ist durch einen stilistischen Übergang geprägt, bei dem mehr Reform als Revolution zu spüren ist. Zwar verwendet Moser traditionelle Gestaltungselemente, aber er vereinfachte sie. Und das ungleiche Erscheinungsbild zwischen dem hohen Hauptbau und dem flachen Ausstellungsflügel betont die verschiedenen Funktionen, anstatt sie zu kaschieren.
Den endgültigen Schritt zur Moderne mit ihren klaren Linien und dem Verzicht auf Anklänge an historische Bauformen vollzieht Moser erst später. Das zeigen die von ihm geplanten Anbauten für das Kunsthaus. Doch von ihnen kann 1925 nur eine kleinere Erweiterung auf der Rückseite verwirklicht werden.
Neuer Ort für Ausstellungen
Die nächste Etappe, noch während des Zweiten Weltkriegs angestossen, wird erst 1956 fertiggestellt. Diesmal sind Hans und Kurt Pfister die Architekten. Der vorspringende Pfisterbau, gegenüber dem alten Ausstellungsflügel gelegen, prägt das Erscheinungsbild des Heimplatzes bis heute.
Der Flügel hebt sich in zwei Dingen vom bestehenden Kunsthaus ab. Zum einen in der Bauaufgabe: Es sollte diesmal ein grosszügiger Raum für Wechselausstellungen entstehen. Zum anderen in der Finanzierung durch eine dominante und nicht unumstrittene Stifterpersönlichkeit: Emil Georg Bührle. Sein Geld steht am Anfang einer langen Planungsgeschichte. Das Ergebnis setzt Massstäbe: Die Ausführung in Beton und Glas und der Einsatz neuster Technik sind Kennzeichen einer fortschrittlich denkenden Nachkriegsmoderne, deren Formensprache heute wieder enorm geschätzt wird.
Wachstum auf mehreren Ebenen
Ganz anders dagegen die von Erwin Müller entworfene dritte Erweiterung (1970–1976). Auch sie gefördert durch eine grosszügige Schenkung, doch nach aussen weniger repräsentativ. Man könnte sagen, dass selbst die Platzwahl auf der Rückseite des Kunsthauses, am Hirschengraben, symptomatisch ist für eine Zeit, die Kritik am ungebremsten Wachstum übt. Doch bietet das Areal damals schlicht keine andere Wahl, um das Kunsthaus zu vergrössern.
Der Müller-Trakt gilt gelegentlich als eine Architektur der guten Absichten, die sich bemüht, die ihr gestellte Bauaufgabe unauffällig umzusetzen. Zu Unrecht: Das von innen her geplante, vielfältige Raumprogramm hat zum Beispiel Gemeinsamkeiten mit der zeitgleich gebauten Neuen Pinakothek in München. Es operiert mit der komplexen Schichtung von Ebenen und einer eindrücklichen Lichtführung. Hier ist die Architektur keineswegs ein zurückhaltender «White Cube».
Eine neue Ära?
David Chipperfields Erweiterung steht jetzt als architektonisches Pendant zum Altbau bezugsbereit auf der anderen Seite des Heimplatzes. Die Konzentration auf wenige Baumaterialien, von denen das Messing klug als Blickfang eingesetzt wird, lassen den Bau auch im Innern unaufgeregt wirken. Die Wegeachse, die über den Verbindungstunnel durch die Halle bis zum rückwärtigen Garten der Kunst führt, ist ein gut entworfener Versuch, das Alte mit dem Neuen zu verbinden.
Es zeigt sich schon jetzt, dass aus städtebaulicher Sicht mit der Wahl des verwirklichten Entwurfs die richtige Entscheidung getroffen wurde. Trotz vieler Sachzwänge hat Zürich nun einen neuen, attraktiven Ort, der kein Kulturtempel ist, sondern ein Haus für Kunst und Menschen.
Das Kunsthaus in der ZB
Wer sich über die Geschichte der Institution, der Sammlung und des Baus informieren möchte, findet bei uns in der Zentralbibliothek Zürich eine Fülle von Informationen. Darunter zum Beispiel:
- eine Monografie über den Moser-Bau
- die Dokumentation der Erweiterung der Gebrüder Pfister
- einen Forschungsbericht zur Rolle von Emil Bührle
- die Festschrift zur Fertigstellung des Müller-Baus
- den Wettbewerbsbericht für das aktuelle Neubau-Projekt
- die neusten Publikationen des Kunsthauses
Was die ZB Zürich darüber hinaus mit dem Kunsthaus verbindet, ist die Digitalisierung der alten Ausstellungskataloge. Etwa 700 Kataloge, die zwischen 1801 und 1949 erschienen sind, hat unser Digitalisierungszentrum online-tauglich gemacht.
Dr. Lothar Schmitt, Fachreferent für Kunst, Architektur und Archäologie
August 2021
Header-Bild: Plakate vor dem Eingang des Erweiterungsbaus (Bild: Lothar Schmitt)