Literarisches Hottingen

Hottingen liegt in Zentrumsnähe und ist doch idyllisch ruhig – kein Wunder, zogen viele Schriftstellerinnen, Schriftsteller und Verlage hierher. Der legendäre Lesezirkel Hottingen holte von Zürichs Literaturquartier aus ein Stück Weltliteratur in die Stadt.

Lithographierte Einladung des Lesezirkels Hottingen zum Münchner Fest 1911 in der Tonhalle Zürich, Entwurf der Vorderseite von Burkhard Mangold. (Bild: ZBZ)Signatur: ZB Graphische Sammlung (GSB) ZEI 2.2

Literaturzirkel Hottingen – Sammelpunkt der Weltliteratur

Die Turnvereinkameraden Wilfried Treichler und Hans Bodmer gründeten 1882 den Lesezirkel Hottingen. Mit den «Abenden für Literatur und Kunst» mauserte sich der Quartierverein zu einem Sammelpunkt der Weltliteratur. Die Liste der Vortragenden ist eindrücklich, was im kulturellen Leben Europas Rang und Namen hatte, las im Lesezirkel Hottingen. Der Zirkel veranstaltete auch spektakuläre Dichterfeste und Maskenbälle. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte er grossen Einfluss auf das literarische und gesellschaftliche Leben Zürichs.

Der Lesezirkel Hottingen in der Zentralbibliothek Zürich

Wir haben zahlreiche Dokumente zum Lesezirkel Hottingen im Bestand, zum Beispiel:

Leben und Schreiben in Hottingen

Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller wohnten in Hottingen. Max Frisch verfasste im Elternhaus sein erstes Theaterstück, Gottfried Keller und Johanna Spyri waren am Zeltweg Nachbarn und Elias Canetti zog mit seiner Familie in Zürichs Literaturquartier. Auch Kurt Guggenheim und Urs Widmer lebten und schrieben in Hottingen. Besonders liebevoll erinnerte sich Ricarda Huch an ihre Hottinger Zeit.

«Doch verliess ich ungern Frau Wanner, das Gärtchen, die Gemeindestrasse und den Zeltweg, an dessen Häusern ich manches Mal am späten Abend den alten Gottfried Keller, klein und gebückt, für mich eine grosse, verehrte Gestalt, hinstapfen sah.»

Ricarda Huch: «Frühling in der Schweiz»

Hottinger Persönlichkeiten in der ZB Zürich

Das Leben dieser Persönlichkeiten dokumentieren wir mit der Zürcher Bibliographie und Gottfried Keller ist sogar eine eigene Bibliographie gewidmet, die Gottfried Keller-Bibliographie. Natürlich haben wir auch die Werke der Hottinger Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Bestand.

ZB-Trouvaillen zum Literaturquartier Hottingen

Bei uns finden Sie:

Verlagsquartier Hottingen

Auch die ortsansässigen Verlage machen Hottingen zu Zürichs Literaturquartier. Der Ammann Verlag, Peter Schifferlis Arche, Diogenes, der Unionsverlag und viele andere waren im Quartier zuhause oder sind es immer noch. In den Verlagsbucharchiven bewahren wir die Bücher dieser und anderer Zürcher Verlage auf. Die Verlagsprogramme spiegeln ihre Zeit kulturell, ökonomisch wie auch gestalterisch.

Literaturexil Zürich

Zürich wurde durch die Weltkriege zum Literaturexil. Die Literatinnen und Literaten im Exil haben auch in unseren Beständen Spuren hinterlassen.


«Dieser Krieg hat unser Land um manchen wahren Menschen reicher gemacht. Keiner spricht je davon, man sollte einmal eine Bilanz von diesem geistigen Kriegsgewinn erstellen, den wir nicht versteuern.»

Kurt Guggenheim: «Das Zusammensetzspiel»

Die ZB hat mehrere Ausgaben von «Menschen im Krieg»Cover des pazifistischen Bestsellers «Menschen im Krieg» von Andreas Latzko, erschienen im Zürcher Rascher Verlag. Das Cover ist grün, Titel und Autorenname in Fraktur.

Exilliteratur in Zürcher Verlagen

Die Verlage Rascher und Oprecht ermöglichten es emigrierten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, ihre Texte zu veröffentlichen. Und nicht nur das: Die Verlegerfamilien unterstützten die Flüchtlinge auch praktisch und finanziell. Der Verlag von Max Rascher setzte während des Ersten Weltkrieges pazifistische Schwerpunkte. Emil Oprecht verlegte Publikationen von rund 100 Exilliteratinnen und -literaten, die vor dem Naziregime geflüchtet waren.

Emil Oprecht – verlegerischer Kampf gegen den Nationalsozialismus

Nach den deutschen Bücherverbrennungen von 1933 stellte Emil Oprecht die verbotenen Bücher im Schaufenster seiner Buchhandlung demonstrativ in Form eines Scheiterhaufens aus. Im selben Jahr wurde der Europa Verlag gegründet, in dem Oprecht Werke zu politischen und geistesgeschichtlichen Fragen verlegte. Thomas Mann publizierte beim Oprecht Verlag, unter anderem seine Exilzeitschrift «Mass und Wert» und den Briefwechsel zur Aberkennung seiner Ehrendoktorwürde.

ZB-Trouvaillen zu den Verlagen

Bei uns finden Sie:

Stammlokale: «Wir warten hier auf ein Wunder»

«Café Odeon» – «Café de la Terrasse» – «Café Select»: Sie alle waren beliebte Treffpunkte während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Im Ersten Weltkrieg verkehrten die Dadaisten und Pazifisten unter anderem im «Odeon» und im «Terrasse», im Zweiten Weltkrieg bevölkerten Intellektuelle und Künstler aus ganz Europa die Cafés. Emigranten und Emigrantinnen konnten sich über die Weltlage informieren und fanden Gleichgesinnte, wie Else Lasker-Schüler im «Café Select»:

«In […] der ‹Zürcher Selectbar› sind wir verscheuchte Dichter, Maler, Musiker und Bildhauer, vis à vis der Limmat, zwischen nicht verscheuchten Dichtern, Schweizer Malern und Bildhauern zu finden. Einlullende Radiomusik wiegt unsere Emigration leise ein. Und wir warten, warten auch hier auf ein Wunder.»

Else Lasker-Schüler: «Tagebuchblätter aus Zürich»

Museumsgesellschaft Zürich – ein magischer Ort

Ein eher stiller, aber magischer Ort für die Literatinnen und Literaten im Exil war die 1834 gegründete Museumsgesellschaft Zürich am Limmatquai. Hier konnten sie in Ruhe arbeiten und sich über die Weltlage informieren. Sie mussten jedoch von einem Mitglied eingeführt werden. Neben einer Dokumentensammlung mit Mitgliederverzeichnissen, Statuten und mehr beherbergt die ZB auch alle Jahresberichte und einen Kronleuchter, der vermutlich in der Museumsgesellschaft gehangen hat.

«Bei uns im Rabenhaus»

Das «Rabenhaus» am Limmatquai war in den 30er Jahren ein Intellektuellentreffpunkt und eine Anlaufstelle für Geflüchtete. Bei der Familie Humm trafen einheimische Autorinnen und Autoren auf Schreibende im Exil. Der Zürcher Schriftsteller Rudolf Jakob Humm schildert die Zeit in «Bei uns im Rabenhaus» und in «Carolin». Humms Nachlass enthält unter anderem seine Tagebücher und Programme der literarischen Abende im Rabenhaus.

Schauspielhaus: Hafen der Freiheit

Legendär ist auch die Zeit von 1933 bis 1945 im Schauspielhaus Zürich: Als einzige freie deutschsprachige Bühne war die Pfauenbühne für viele Geflüchtete ein Hafen der politischen und künstlerischen Freiheit. Unter der Direktion von Oskar Wälterlin wurden ab 1938 im Deutschen Reich verbotene Stücke gespielt, zum Beispiel Uraufführungen von Bertolt Brecht und Carl Zuckmayer. Sie finden die Programmhefte des Schauspielhauses aus dieser bewegten Zeit in unserem Bestand.

«Ich ging langsam durch die winterlich besonnte Stadt, blieb oft stehen bei den Schwänen am Quai […], dann blieb ich vor der Buchhandlung von Oprecht in der Rämistrasse stehen, schliesslich an der Ecke des ‹Pfauen›. […] Mir war, als müsse ich ein Stossgebet sprechen, als ich über den Hof vom Zeltweg zum Bühneneingang ging. Ganz leise öffnete ich eine mir bekannte Tür in den hinteren Zuschauerraum, auf Zehenspitzen trat ich ein. […] Ich war zu Hause.»

Carl Zuckmayer: «Als wär’s ein Stück von mir»

Die Exilstadt Zürich im Spiegel der Literatur: eine Auswahl


Heidi Stieger und Stefanie Ehrler, Abteilung Turicensia
März 2019